Festival-Weltmeister Schweiz.

Das Live-Format erfindet sich neu und boomt.

Kein Land auf der Welt veranstaltet mehr Open-Air-Festivals als die Schweiz. Das Live-Format hat Hochkonjunktur. Und es erfindet sich immer wieder neu, kommerziell wie kulturell. Was sind die Trends?

Die Schweiz ist Open-Air-Weltmeister. Sie hat das Live-Festival zwar nicht erfunden, aber so intensiv kultiviert, dass der Markt mittlerweile ein Publikum von rund fünf Millionen Festivalbesuchern umfasst. Da gibt es die Branchenleader Paléo und Frauenfeld mit bis zu 230 000 bzw. 170 000 Gästen; da gibt es aber auch jene Indie- und Community-Festivals die überglücklich sind, wenn sie 2000 Tickets verkaufen. Dazwischen erstreckt sich eine Festivallandschaft, die bunter nicht sein könnte.

Die Menschen sehen das Festival als eine Auszeit.

Jasper Barendregt, Festival Director FKP Scorpio

Ebenso vielfältig wie die Programme und Positionierungen sind auch die Geschäftsmodelle: Wie sich der Einnahmen-Mix aus Ticketverkauf, Gastro, Merchandising und Sponsoring rechnet, hängt stark von der Grösse und der Trägerschaft ab. AGs wirtschaften anders als Vereine, hochfliegende Newcomer anders als gestandene Veteranen, die mit Budgets zwischen 27 Mio. CHF (Paléo) und 8 Mio. CHF (OpenAir St. Gallen) kalkulieren.

Der Live-Boom konsolidiert sich.

Live-Festivals sind die Antwort auf die Digitalisierung des Musikkonsums. Streaming ist gut, live ist besser: Das zeigt sich auch in absoluten Zahlen: 2005 fanden in der Schweiz 877 Live-Musikveranstaltungen statt; zehn Jahre später waren es gemäss der Swiss Music Promoters Association rund 1640 (Pressemitteilung SMPA, 5/2015). Doch seit 2015 sind die Wachstumsjahre vorbei. „Der Markt wird eng“, konstatierte die SMPA und wies auf die sinkende Auslastung der Live-Veranstaltungen hin. Zuvor hatte schon Thomas Kastl, damals Chef von Good News, gewarnt: „Der Schweizer Festivalmarkt ist übersättigt.“

 

Mehr als Line-ups und Headbanging.

Auch wenn der Live-Markt satt ist, müde ist er keineswegs. Längst haben sich zahlreiche Live-Festivals weiterentwickelt: vom Musik-Event zum vielseitigen Erlebnisformat. „Die Menschen sehen das Festival als eine Auszeit“, meint Jasper Barendregt, Festival Director bei FKP Scorpio, dem deutschen Producer des Greenfield Festivals (Interlaken). „Es ist total fashionable, aufs Festival zu fahren.“

Das Line-up ist längst nicht mehr der alleinige Publikumsbringer. „Musik ist die wichtigste Komponente eines Festivals, aber sie ist nicht mehr die einzige“, so Barendregt. Dem Mix gehört die Zukunft: Einzigartige Live-Momente kombiniert mit neuartigen Erlebniswelten ist das Konzept. Ambiente, Stimmung, Gastroangebote und Anbindung an Lifestyle-Themen werden deshalb immer wichtiger.

In 40 Ländern aktiv und jährlich 550 Millionen Zuschauer.

Booker-Giganten drängen in den Markt.

Der Sommer 2017 brachte dem Openair Frauenfeld nicht nur Hitzetage, sondern auch heisse News: Ab jetzt ist der US-Konzern Live Nation, einer der weltweit grössten Produzenten von Live-Veranstaltungen, Eigentümer der traditionsreichen 11-Mio. CHF-Veranstaltung. Wer wie Live Nation in 40 Ländern aktiv ist und jährlich 550 Millionen Zuschauer bewirtschaftet, hat praktisch unbegrenzte Booking Power. Live Nation arbeitet mit Stars wie Madonna, Jay-Z oder U2 – und zwar exklusiv. Mit dem Openair Frauenfeld sind die Ambitionen von Live Nation in der Schweiz noch nicht befriedigt. „Wir können uns weitere Beteiligungen in der Schweiz vorstellen“, meint André Lieberberg, Managing Director von Live Nation Deutschland.

Das ganze Festival-Package entscheidet.

Für mittelgrosse Festivals mit 10 000 bis 15 000 Tagesbesuchern kommt es deshalb mehr denn je auf besonders sorgfältiges Marketing und überlegtes Booking an. Der Singer-Songwriter-Event Unplugged Zermatt hat exemplarisch vorgemacht, dass ein klares Profil und eine entsprechende Programmierung entscheidend zum Festival-Erfolg beitragen. Wie schwierig das ist, zeigten die turbulenten Jahre des Zürich Openair: Stars einkaufen garantiert noch keine schwarzen Zahlen. Im Gegenteil: „Eine eigene Handschrift bleibt zentral, ja sie wird immer wichtiger“, so Christoph Huber, Festivaldirektor des OpenAir St. Gallen. Auch Dany Hassenstein, Mitglied der Geschäftsleitung des Paléo Festival Nyon, bestätigt in der NZZ (12.6.2015): „Die Realität ist, das ganze Package entscheidet.“ Es komme darauf an, „Magie ins Festival zu bringen“.

Livemusik, Kunst, Lesungen, Film, Natur & Genuss.

Boutiquefestivals mischen die Szene auf.

Während die traditionellen Open-Airs und altgedienten Indiefestivals immer stärker in internationale und festivalübergreifende Strukturen eingebunden werden, schlägt die Stunde der Boutiquefestivals: kleine, bisweilen feine Live-Events, die mit Ideen und Experimentierfreude die Szene aufmischen.

Der Boutiquetrend kommt aus den USA und ist nun so richtig in Europa angekommen. Die Boutiquefestivals definieren das Format Festival neu: als 360°-Erlebnis und Gesamtkunstwerk. Das Burning Mountain im bündnerischen Charal (Zernez) zählt hier zu den Schweizer Vorreitern. Europas höchstgelegenes Live-Festival beschäftigt rund zehn Dekorationsteams und verwendet viel Energie auf Gestaltung der Floors und Festival Areas. Performance Artists, Workshops sowie der Food & Craft Market tragen ebenso zum Gesamterlebnis bei wie der Sound.

Crossover zwischen Musik und Lifestyle.

Die Boutiquefestivals erhalten ihre innovativen Impulse aus unterschiedlichsten Lifestyle-Milieus und Communitys: Während die Indie-Pop-Festivals Landleben und Naturverbundenheit zelebrieren, punktet die Elektroszene mit einzigartigen Locations. Festivals wie Outlook (Fort Punta Christo, Pula, Kroatien), Electrisize (Erkelenz, Deutschland ) oder A Summer’s Tale (Luhmühlen, Deutschland) setzen hier europäische Massstäbe.

A Summer’s Tale beispielsweise praktiziert einen bunten Crossover: „Livemusik, Kunst, Lesungen, Film, Natur & Genuss“ stehen auf dem Programm, inklusive Bioweinverkostung. Besonderes Juwel unter den Boutiquefestivals: Château Jolifanto, das eher private Elektrofestival für ca. 600 Gäste in einem 55-Zimmer-Schloss im Burgund.

Auch die grossen Schweizer Festivals springen auf den Boutique-Trend auf: Das weltmusikalisch programmierte Village du Monde auf dem Paléo-Gelände sowie die Kreativkooperation mit Kunstschulen verleihen dem Westschweizer Mega-Event eine sympathische Non-Profit-Note.

 

Erleben, bis die Ohren wackeln.

Wer heute im Festivalbetrieb mit kommerziellen Ambitionen auftrumpfen will, muss Live Experience neu definieren: so wie das junge Rüttelhütte in Air Festival. Was da in Hauptwil/TG abgeht, ist „die geilste Homeparty der Schweiz“. Die vollmundige Positionierung kommt an, ebenso das Konzept, das Musik mit „absoluten Entertainment-Highlights“ kombiniert.

Erste Indoor Camping Area der Welt.

Das Rüttelhütte in Air Festival bietet nicht nur die „erste Indoor Camping Area der Welt“, die „erste Schweizer Schwarzlicht-Minigolfanlage“ sondern auch „das Masters of Beer Pong“ (deshalb auch das Einlassalter 18). Von einem Verein getragen, wurde das Rüttelhütte in Air Festival 2015 via Crowdfunding über die Raiffeisen-Plattform „Lokalhelden“ ins Leben gerufen. Schwer, den aufgedrehten Action-Style des neuartigen Festivals zu toppen! Mit seinem hochkarätigen „Heimscheisser-Line-up“ (sprich Schweizer Acts) ist das Festival auch beim Migros-Kulturprozent auf offene Ohren gestossen.

 

 

Neue Kooperation zwischen Festivals und Sponsoren.

Die erste Festivalgeneration der Schweiz ist mittlerweile in Rente. Und damit auch das Festival als Bühnenereignis mit Matsch-Zeltplatz und Kloschlange. Auf den Festivalgeländen entstehen immer mehr Erlebniswelten, die spezifisch auf einzelne Communitys und Bedürfnisse abgestimmt sind. Je mehr Festivals zu neuen Live-Experiences werden, desto vielfältiger auch die Möglichkeiten fürs Live-Marketing.

Vorbei die Zeit des offensiven Sponsorenbrandings und der grossflächigen Werbung.

„Für viele Sponsoren sind die Festivals ein perfekter Weg, um gerade mit jüngeren Konsumenten auf lockere Art in Kontakt zu treten“, so Christof Huber von Incognito Productions, dem Veranstalter von Festivals wie OpenAir St. Gallen, Stars in Town (Schaffhausen) und Summer Days (Arbon). Vorbei die Zeit des offensiven Sponsorenbrandings und der grossflächigen Werbung. „Dezente und sinnvolle Auftritte bringen mehr. Deshalb werden die Auftritte meist zusammen mit dem Festivalveranstalter entwickelt. So fügen sie sich zwanglos ins Festivalkonzept ein.“ Die nächste Festivalsaison zeichnet sich schon ab. Bald werden erste Line-ups publik. Eins ist dabei klar: Ohne Live-Festivals keinen Sommer – das Open-Air-Gefühl ist längst ein Lebensgefühl geworden.

Winston und standing ovation on Tour.

Mit „Winston Village“ hat standing ovation für JTI ein Open-Air-Konzept erarbeitet, das Festivalerlebnis und Brand-Experience nahtlos verbindet. Im Zentrum stand dabei:

• Innovatives Branding: Der Winston-Tower war in die Festival-Architektur integriert.
• Eine Vielzahl von Touchpoints führte vom „Get to know“ der Band bis zum „Being part of“.
• Im Village wurde ein eigenes Ambiente mit Lounges, DJs und Activities geschaffen.
• Das Villagekonzept musste in unterschiedlichsten Festival-Kontexten funktionieren.

Das „Winston Village“ war an folgenden Festivals präsent: Greenfield Festival (Interlaken), Argovia Fäscht (Birrfeld), Trucker & Country Festival (Interlaken), Openair Lumnezia (Val Lumnezia), Heitere Openair (Zofingen), Openair Gampel

©Bild Header: Aranxa Esteve